Artikel von Francesca Moriero – Journalistin, Fanpage.it

Wenn es um Europa geht, gehen die Meinungen oft zwischen Begeisterung und Skepsis auseinander. Doch was denken die Bürger wirklich? Um dies zu verstehen, gibt das Europäische Parlament jedes Jahr eine Reihe von Umfragen in Auftrag, das Eurobarometer , das die Meinungen der Bürger der 27 Mitgliedstaaten zu Fragen rund um die Union und ihre Rolle in der Welt erfasst . Die Winterausgabe 2025 fängt einen heiklen Moment ein: Zwischen internationaler Instabilität, Klimawandel, technologischen Herausforderungen und Wirtschaftskrisen ist die Europäische Union gefordert, ihre Stimme und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken. Doch was erwarten die Menschen? Wo sehen sie die Stärken der EU? Wo ihre Schwächen?

Ein Blick auf die italienischen Ergebnisse offenbart ein weit verbreitetes Gefühl: eine Mischung aus Realismus, Erwartung, aber auch Distanz. Der Vergleich mit dem europäischen Durchschnitt hilft nicht nur, unsere eigenen Ansichten zu verstehen, sondern auch, wie wir in den größeren Kontext der europäischen Völker passen.

Die Rolle der EU in der Welt: wachsende Bedeutung, doch Italien bleibt vorsichtig

Auf die Frage, wie sich die Rolle der Europäischen Union in der Welt in den kommenden Jahren verändern wird, antworten 44 % der Europäer, sie werde „wichtiger“ sein. Diese Ansicht wird auch in Italien geteilt (43 %), geht aber mit größerer Vorsicht und Unsicherheit einher: Ein beträchtlicher Prozentsatz der Italiener (5 %) gibt an, keine Meinung zu haben, verglichen mit dem europäischen Durchschnitt von 3 %. Diese kleine Lücke mag marginal erscheinen, deutet aber auf etwas Tieferes hin: eine emotionale Distanz oder vielleicht einen Mangel an konkreten Bezugspunkten. In Italien wird eine gewisse Trennung zwischen der Institution „Europa“ und dem täglichen Leben wahrgenommen; es scheint, als ob viele Bürger Schwierigkeiten hätten, die Rolle der EU in wichtigen internationalen Szenarien zu erkennen, oder sich zumindest nicht vollständig mit ihr verbunden fühlen.

Verteidigung und Sicherheit: Vertrauen in die EU, aber mit Vorbehalten

In einer zunehmend instabilen Weltlage ist das Thema Sicherheit wieder mit Nachdruck in den Mittelpunkt der Debatte gerückt. Und hier wird die Europäische Union als wichtiger Akteur wahrgenommen. 66 Prozent der Europäer glauben, dass die EU eine grundlegende Rolle beim Schutz vor internationalen Krisen und Sicherheitsbedrohungen spielt. Auch in Italien teilen 63 Prozent der Bürger diese Ansicht. Doch auch hier wirkt die italienische Unterstützung verhaltener, kühler. Es gibt keine klare Ablehnung, nicht einmal eine überzeugte Befürwortung. Es scheint, als würde die Union eher als praktische Notwendigkeit denn als tiefempfundenes politisches Projekt wahrgenommen. Ein nützlicher Schutzschirm also, aber nicht immer zuverlässig.

Worauf sollte sich die EU konzentrieren? Die Prioritäten der Italiener und Europäer

Anschließend wurden die Befragten gefragt, was die EU tun sollte, um ihren globalen Einfluss zu erhöhen. Die Antworten weisen eine gewisse Übereinstimmung zwischen den Ländern auf: Die wirtschaftliche und industrielle Wettbewerbsfähigkeit wird als oberste Priorität genannt (32 % in Italien, 34 % in Europa). In einem Kontext, in dem Großmächte – China, die USA und Indien – um die wirtschaftliche Führung wetteifern, scheint eine Stärkung der europäischen Industrie nahezu unvermeidlich. Doch neben dem Wirtschaftswachstum entstehen auch neue dringende Bedürfnisse: In Italien beispielsweise glauben 36 % der Bürger, dass Investitionen in Verteidigung und gemeinsame Sicherheit unabdingbar sind – ein höherer Prozentsatz als im europäischen Durchschnitt (31 %). Auch Energieunabhängigkeit wird als strategisch angesehen: 33 % der Italiener nennen sie als Priorität, verglichen mit 27 % der Europäer. Das ist kein Zufall: Der Krieg in der Ukraine und die steigenden Energiekosten haben gezeigt, dass Energie nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein geopolitisches Thema ist.

Auch die Aufmerksamkeit, die Italien der Lebensmittelsicherheit widmet (25 %), liegt über dem europäischen Durchschnitt (23 %). Dies spiegelt möglicherweise die zentrale Bedeutung der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette in unserem Land wider, aber auch ein größeres Interesse an der Stabilität und Qualität unserer Lebensmittelversorgung.

Ein stärker vereintes Europa? Die Italiener sagen: Ja.

Die Idee, dass die Europäische Union stärker zusammenhalten muss, findet breite Zustimmung: 89 Prozent der Europäer und 88 Prozent der Italiener sind der Meinung, dass die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung globaler Herausforderungen enger zusammenarbeiten sollten. Dies ist eines der deutlichsten und beständigsten Ergebnisse der Umfrage: Einheit ist also nicht nur erwünscht, sie wird als notwendig empfunden.

Italien sticht aber auch durch eine andere Überzeugung hervor: Um wirklich funktionieren zu können, benötigt die Union mehr Instrumente und Ressourcen. 82 Prozent der Italiener glauben dies, verglichen mit dem EU-Durchschnitt von 76 Prozent. Diese Zahl spiegelt möglicherweise eine gewisse Frustration wider: die Vorstellung, dass Europa „mehr tun könnte“, aber nicht die nötige Macht erhält.

Die wahren Sorgen der Bürger: Inflation, Arbeit, Armut

Wenn wir von globalen Strategien zu den alltäglichen Bedürfnissen übergehen, werden die Antworten noch aufschlussreicher. Die Italiener weisen nachdrücklich auf drei Prioritäten hin:

  • Die größte Sorge (43 %) besteht in den durch die Inflation bedingten Lebenshaltungskosten.
  • Als nächstes kommt die Arbeit, die in Italien ein weitaus besorgniserregenderes Thema ist als im europäischen Durchschnitt (37 % gegenüber 29 %).
  • An dritter Stelle steht der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung (31 %).

Hier wird deutlich, dass Prioritäten konkret, alltäglich und mit der Lebensqualität verknüpft sind. Auch Themen wie Entwicklungshilfe und Geschlechtergleichstellung erfreuen sich eines größeren Interesses, das in Italien etwas mehr Aufmerksamkeit erhält als im europäischen Durchschnitt. Die Migration hingegen widersetzt sich diesem Trend: Für 22 % der Europäer hat sie Priorität, in Italien sind es nur 13 %. Diese Daten sollten mit Vorsicht interpretiert werden: Statt Desinteresse könnten sie eher auf eine Beilegung der Debatte nach Jahren vermeintlicher Notsituationen hindeuten.

Die persönliche Zukunft? Daran haben die Italiener wenig Vertrauen.

Und schließlich die vielleicht bitterste Statistik: Nur 11 Prozent der Italiener glauben, dass sich ihr Lebensstandard in den nächsten fünf Jahren verbessern wird. Das ist einer der niedrigsten Werte in Europa: Die Mehrheit (76 Prozent) glaubt, dass sich nichts ändern wird, während weitere 11 Prozent eine Verschlechterung erwarten. Das ist nicht unbedingt Pessimismus, sondern eher eine müde und vielleicht desillusionierte Sichtweise. Als ob positive Veränderungen als selten, ja fast unwahrscheinlich angesehen würden.

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