Im ersten Wahlgang sicherte sich George Simion 40,96 % der Stimmen und galt als klarer Favorit, während der proeuropäische Unabhängige Nicușor Dan mit nur 20,99 % nur Zweiter wurde. Zwei Wochen später änderte sich das Bild radikal: Am 18. Mai gewann Nicușor Dan die Wahl, und das Ergebnis war hart umkämpft. Die Frage, die die Öffentlichkeit beschäftigt, lautet: Wer hat den Ausschlag gegeben, und wie war das möglich?
Die Jugend und die Alten – Das Votum der rationalen Emotionen
Die Antwort liegt in detaillierten soziologischen Analysen. „Wir beobachten eine unerwartete Konstellation: Junge Menschen unter 30 mit Hochschulabschluss sowie Personen über 60 haben Nicușor Dan in überdurchschnittlicher Zahl gewählt“, erklärt der Soziologe Ioan Hosu, Professor an der Babeș-Bolyai-Universität in Cluj.
Diese scheinbar paradoxe Allianz zwischen den Generationen basierte auf einer gemeinsamen Entscheidung: der liberalen Demokratie. „Mit anderen Worten: Großeltern und ihre Enkel wählten gemeinsam den Weg der Würde, der Vernunft und der Demokratie westlicher Prägung“, sagt Hosu.
Die Bestrebungen der jüngeren Generation zeigten sich besonders in Universitätsstädten. Dort wurden die Wähler von einer Botschaft angezogen, die Isolation und Hass ablehnte und stattdessen Toleranz und Empathie betonte. „Eine weitere Variable, die berücksichtigt werden muss, ist die Art des Ortes. Die Bewohner großer Städte, insbesondere von Universitätszentren, bewegten sich in dieselbe Richtung – eine Richtung, die von einem Diskurs geprägt war, der isolationistische Ideen ablehnte“, bemerkt Hosu.
Die Daten: Junge Menschen haben mit überwältigender Mehrheit für Dan gestimmt
Laut Daten von Professor Cătălin Stoica (SNSPA, ehemaliger Direktor des CURS) stimmten 58 % der jungen Wähler im Alter von 18 bis 30 Jahren im zweiten Wahlgang für Nicușor Dan – deutlich mehr als der nationale Durchschnitt. Dies stellt eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber dem ersten Wahlgang dar, als George Simion mit 43 % der Favorit dieser Altersgruppe war, verglichen mit Dans 34 %.
„Dans Sieg war zum Teil den Stimmen der jungen Wähler zu verdanken, aber noch mehr den Stimmen der über 61-Jährigen“, fügt Stoica hinzu und unterstreicht die Bedeutung der älteren Wählerschaft. Auch das Bildungsniveau war entscheidend: 74,5 % der Hochschulabsolventen stimmten für Dan, während Simions Unterstützung vor allem von denjenigen kam, die nur einen Grundschul- oder Abiturabschluss hatten.
Ein weiterer wichtiger Faktor: 65,4 Prozent derjenigen, die im ersten Wahlgang nicht gewählt hatten, aber beim zweiten Wahlgang dabei waren, wählten laut CURS-Analyse Nicușor Dan.
Affektive Neukonfiguration: Angst und Wut
Der Soziologe Antonio Amuza (IRES) betrachtet nicht nur die Zahlen, sondern auch die emotionale Grundlage: „Es waren nicht die Jungen, die das Lager der Souveränisten verließen, sondern die Älteren. Sie zogen sich emotional von einer als riskant empfundenen Option zurück. Es handelt sich um eine emotionale Rationalisierung“, erklärt er.
Während Simions Wähler von Wut und Frustration getrieben waren und um jeden Preis Veränderung forderten, waren Dans Wähler von der Angst vor Instabilität und dem Wunsch nach Ausgeglichenheit motiviert. „Angst, Wut und Vernunft vereinten sich zu einem unvorhersehbaren Wahlcocktail“, sagt Amuza.
Darüber hinaus reagierte ein erheblicher Teil der älteren Wählerschaft auf den veränderten Ton in Simions Wahlkampf. Von einer kohärenten und kraftvollen Rede in der ersten Runde wandelte sich diese in der Schlussrunde zu einer, wie Amuza es beschreibt, „hastig, abgehackt, manchmal unzusammenhängend“ – was sogar einige seiner ursprünglichen Anhänger vergraulte.
Die Diaspora-Wahl: Europäische Nuancen
Das ENTR-Projekt, das das Wahlverhalten der Rumänen in neun europäischen Ländern analysierte, offenbarte bemerkenswerte geografische Unterschiede. Die Rumänen in Ungarn und Polen wählten mit überwältigender Mehrheit Nicușor Dan, während sein schwächstes Ergebnis in Deutschland verzeichnet wurde. Dies deutet darauf hin, dass nicht nur Werte, sondern auch lokale Kontexte das Wahlverhalten beeinflussen.
Abschluss
Die Präsidentschaftswahl 2025 war nicht nur ein Duell zweier Kandidaten, sondern ein wichtiger Test für das Profil der rumänischen Wählerschaft. Gebildete Jugendliche und ihre Großeltern bildeten eine Koalition der Klarheit, geleitet von Angst, Vernunft und der Hoffnung auf ein Rumänien, das weiterhin in demokratischen Werten verankert bleibt.
In einem Zeitalter der Manipulation und Algorithmen wurde die Entscheidung nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen getroffen.
INFOBOX
Profil des proeuropäischen Wählers
Das Profil (nach Bildung, Alter und Geschlecht) der Wähler von Nicușor Dan lässt einen klaren demografischen Trend erkennen: Wähler mit mittlerem Bildungsniveau machten knapp über 50 % der Gesamtzahl aus, während diejenigen mit höherer Bildung mehr als 80 % ausmachten.
In den Altersgruppen 18–29 und 45–59 stimmten 50 bis 55 % für Nicușor Dan. Die Senioren unterstützten ihn in über 60 % der Fälle. Besonders Frauen spielten in dieser Wahlrunde eine entscheidende Rolle: Über 55 % der Stimmen stimmten für Nicușor Dan – ein entscheidender Beitrag zu seinem Sieg.
Die Daten wurden vom Soziologen Ioan Hosu aus öffentlichen Quellen zusammengestellt, darunter politische Marktforschungsinstitute am Wahltag und Daten der Ständigen Wahlbehörde (AEP).