Die britische Anti-Terror-Polizei untersucht Vorwürfe, wonach chinesische Behörden Druck auf die Sheffield Hallam University ausgeübt haben, nachdem die Universität die Forschung von Professorin Laura Murphy zur Zwangsarbeit von Uiguren in China vorübergehend ausgesetzt hatte. Der Fall hat nicht nur die Spannungen zwischen akademischer Freiheit und ausländischem Einfluss offengelegt, sondern auch die Debatte über die weitreichenderen Folgen der chinesischen Präsenz an westlichen Bildungseinrichtungen neu entfacht.

Die Polizei ermittelt wegen möglicher ausländischer Geheimdiensteinmischung

Laut Berichten des Guardian , der BBC und Dokumenten der Anwaltskanzlei Leigh Day Solicitors sollen chinesische Behörden zwei Jahre lang Druck und Einschüchterung gegen die Sheffield Hallam University ausgeübt haben. Ziel war es, die Forschung zu Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Region Xinjiang zu stoppen.

Interne Dokumente belegen, dass Personen, die sich als Vertreter des chinesischen „nationalen Sicherheitsdienstes“ ausgaben, Universitätsmitarbeiter in Peking kontaktierten und die Einstellung des Forschungsprojekts forderten. Nachdem die Universität die chinesische Seite über die Aussetzung der Veröffentlichung der Studienergebnisse informiert hatte, „verbesserten sich die Beziehungen umgehend“, heißt es in dem zitierten Schriftverkehr.

Die Polizei von South Yorkshire hat den Fall an die Anti-Terror-Einheit weitergeleitet und sich dabei auf Paragraf 3 des Nationalen Sicherheitsgesetzes berufen, der die „Unterstützung eines ausländischen Geheimdienstes“ betrifft. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre dies einer der schwerwiegendsten bekannten Fälle direkter ausländischer Einmischung in das britische Hochschulleben.

Universität entschuldigt sich, Regierung reagiert

Nach öffentlicher Kritik nahm die Sheffield Hallam University die Studie wieder auf, entschuldigte sich bei Professorin Laura Murphy und bekräftigte ihre uneingeschränkte Unterstützung für die akademische Freiheit. Auch die britische Regierung reagierte: Der Sprecher des Premierministers bezeichnete Chinas Vorgehen als „absolut inakzeptabel“, und der damalige Außenminister David Lammy soll das Thema mit seinem chinesischen Amtskollegen besprochen haben.

Das Bildungsministerium bot der Universität seine Unterstützung an und betonte die Bedeutung des Higher Education (Freedom of Speech) Act 2023, der die Verantwortung der Universitäten für den Schutz der Unabhängigkeit ihrer Forscher stärkt.

Wer sind die Uiguren und warum werden sie verfolgt?

Die Uiguren sind eine muslimische ethnische Minderheit, die hauptsächlich in der nordwestchinesischen Autonomen Region Xinjiang lebt. Ihre Sprache und Kultur weisen enge Verbindungen zu den Turkvölkern Zentralasiens auf. Seit Jahren sind die Uiguren systematischer Repression durch den chinesischen Staat ausgesetzt, der sein Vorgehen mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“ und der „Armutsbekämpfung“ rechtfertigt.

Nach Angaben internationaler Organisationen und unabhängiger Recherchen wurden Hunderttausende – möglicherweise sogar über eine Million – Uiguren in sogenannte „Umerziehungslager“ geschickt und zur Arbeit in Industrieanlagen gezwungen, oft innerhalb globaler Lieferketten.

China, ein offiziell atheistischer Staat, schränkt seit Langem das religiöse und kulturelle Leben von Minderheiten ein. Obwohl auch andere muslimische Gemeinschaften, wie die Hui, in China leben, sind die Uiguren in einzigartiger Weise Massenüberwachung, Internierung und Zwangsassimilation ausgesetzt.

Die Europäische Union führt seit Jahren einen Menschenrechtsdialog mit China und hat dabei wiederholt ihre Besorgnis über die Lage der Uiguren geäußert. Im Jahr 2021 verhängte die EU Sanktionen gegen mehrere chinesische Beamte, die für das Vorgehen in Xinjiang verantwortlich waren. Peking reagierte darauf mit Sanktionen gegen EU-Abgeordnete und Forschungseinrichtungen.

Trotz dieser Maßnahmen stehen europäische Universitäten und Forschungseinrichtungen zunehmend vor einem Dilemma: Wie lässt sich die akademische und finanzielle Zusammenarbeit mit China aufrechterhalten, ohne die Meinungs- und Forschungsfreiheit einzuschränken? In den letzten Jahren häufen sich Berichte über chinesischen Druck auf Wissenschaftler, die sich mit sensiblen Themen – von Menschenrechten bis hin zur Geopolitik – befassen.

Chinesischer Einfluss und die fragile Unabhängigkeit der Universitäten

Der Fall Sheffield Hallam verdeutlicht ein umfassenderes Problem, das Professorin Murphy selbst angesprochen hat: Die chronische Unterfinanzierung britischer (und allgemeiner europäischer) Universitäten macht sie anfällig für externen finanziellen und politischen Einfluss. Viele Universitäten sind von Studiengebühren internationaler Studierender abhängig geworden, wobei China einen der größten Bildungsmärkte der Welt darstellt.

Dies birgt die Gefahr der Selbstzensur oder der Einschränkung von Forschung zu politisch sensiblen Themen. Obwohl Sheffield Hallam beteuert, seine Entscheidungen seien nicht kommerziell motiviert gewesen, zeigen Ausmaß und Art des berichteten Drucks, wie komplex das Verhältnis zwischen Wissenschaft und globalen politischen Realitäten geworden ist.

Der Fall der Sheffield Hallam University verdeutlicht die Herausforderungen, denen sich akademische Einrichtungen angesichts zunehmender internationaler Verflechtungen gegenübersehen. Einerseits streben sie danach, die Freiheit der Forschung und des intellektuellen Austauschs zu bewahren; andererseits müssen sie sich in geopolitischen und wirtschaftlichen Kräften zurechtfinden, die ebendiese Unabhängigkeit bedrohen.

Das Schicksal der Uiguren bleibt ein zentraler Bezugspunkt in der globalen Menschenrechtsdebatte. Angesichts des wachsenden Einflusses Chinas in Europa und darüber hinaus ist die Frage, wie sich Offenheit in der Wissenschaft mit dem Schutz ihrer Autonomie vereinbaren lässt, eine der entscheidenden Herausforderungen für moderne Demokratien.

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