Der Grundsatz der Vertraulichkeit
Digitale Verschlüsselung ist die Grundlage privater Kommunikation. Die neue EU-Verordnung zur Chatkontrolle versucht, diese Datenschutzlücke zu schließen, indem sie Behörden erlaubt , Nachrichten, Fotos und Dateien bereits vor dem Versand zu scannen. Die vorgeschlagene Technologie, bekannt als clientseitiges Scannen, liest Daten nicht auf dem Server, sondern direkt auf dem Gerät des Nutzers. In der Praxis wird dadurch jedes Smartphone zu einem potenziellen Überwachungsinstrument, da die „Erkennung“ der Verschlüsselung vorausgeht.
European Digital Rights ( EDRi ) warnt, dass der Vorschlag einer „Massenüberwachung ohne Verdacht auf ein Verbrechen“ gleichkomme. Die Systeme künstlicher Intelligenz, die verdächtige Inhalte erkennen sollen, basierten auf unvollkommenen Algorithmen mit einer hohen Rate an Fehlalarmen. Auch das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit ( ECPMF ) bezeichnet die Verordnung als „existenzielle Bedrohung der Pressefreiheit“. Wie das ECPMF betont, könnte die verpflichtende Überprüfung journalistische Quellen gefährden und das Grundprinzip der Vertraulichkeit zwischen Journalisten und Informanten untergraben. Über 470 Forscher aus 34 Ländern warnen, dass die Verabschiedung der Verordnung „beispiellose Möglichkeiten für Überwachung, Kontrolle und Zensur“ eröffnen werde. Sie betonen die Gefahr, dass die Infrastruktur von morgen für politische Repression oder Spionage missbraucht werden könnte.
Der Vorschlag stützt sich auf Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, der den Binnenmarkt und nicht die restriktive Regulierung von Grundrechten betrifft. Dies macht die Rechtsgrundlage fragwürdig, da die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Digital Rights Ireland, Tele2 Sverige, La Quadrature du Net) wiederholt entschieden hat, dass die allgemeine Überwachung gegen die Artikel 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte verstößt: das Recht auf Privatsphäre, den Schutz personenbezogener Daten und die Meinungsfreiheit. Wie EDRi anmerkt, haben auch die Vereinten Nationen und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darauf hingewiesen, dass die Schwächung der Verschlüsselung eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Privatsphäre darstellt. Der Unterschied zwischen Schutz und Überwachung scheint also in einer einzigen Codezeile zu liegen.
