In einer Zeit, in der die transatlantischen Beziehungen unter dem Druck politischer Turbulenzen in den Vereinigten Staaten erneut ins Wanken geraten, nutzt China die Gelegenheit, seine Beziehungen zu einem wichtigen europäischen Akteur neu zu gestalten.

Deutschland – die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union – ist zum Zentrum der strategischen Manöver Chinas geworden. Dabei geht es um Einfluss auf den gesamten Kontinent und die Zukunft der globalen Lieferketten für Seltene Erden. Der Handel zwischen China und Deutschland erreicht in diesem Jahr fast 186 Milliarden Euro und übertrifft damit leicht den Wert des deutschen Handels mit den Vereinigten Staaten (rund 184,7 Milliarden Euro). Diese Tatsache, die in der öffentlichen Debatte oft übersehen wird, verdeutlicht das Ausmaß der gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung – sowie das Potenzial, das China in Deutschland als Tor nach Europa sieht.

Tauwetter nach monatelanger Spannung

Noch vor wenigen Monaten schien der Dialog zwischen Deutschland und China eingefroren. Ein Streit über chinesische Exportbeschränkungen für Chips und Seltene Erden hatte im Herbst zur Absage eines Besuchs des deutschen Außenministers Johann Wadephul geführt. China, das zuvor Sanktionen gegen ausgewählte Seltene Erden verhängt hatte, signalisierte, dass eine Entspannung weder schnell noch einfach sein würde. Doch der Rückzug erfolgte rasch.

Hinter den Kulissen des G20-Gipfels am Sonntag (23. November) versicherte der chinesische Ministerpräsident Li Qiang Bundeskanzler Friedrich Merz, dass „China und Deutschland wichtige Wirtschafts- und Handelspartner sind“ und betonte die Notwendigkeit, das Vertrauen wiederherzustellen und den Dialog in strategischen Industriesektoren auszuweiten. Gleichzeitig traf sich Vizepremier He Lifeng – ein wichtiger Architekt der chinesischen Wirtschaftspolitik – mit dem deutschen Finanzminister Lars Klingbeil. Parallel dazu vereinbarte Außenminister Wadephul mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi einen neuen Termin für seinen Besuch in Peking.

Das Tempo dieser Aktionen lässt vermuten, dass beide Seiten eine weitere Eskalation als unrentabel ansahen – insbesondere China, das angesichts eines Handelskonflikts mit den USA dringend stabile Verbündete und Kunden in Europa benötigt.

China ändert seine Taktik

In den letzten Monaten hat sich Chinas Europapolitik subtil, aber spürbar verändert. Anstatt sich auf die Beziehungen zu den EU-Institutionen zu konzentrieren – die zunehmend protektionistisch und kritisch gegenüber Themen wie Menschenrechten und Investitionstransparenz eingestellt sind – priorisiert China nun bilaterale Gespräche mit wichtigen Mitgliedstaaten. Deutschland mit seiner pragmatischen Wirtschaftspolitik bietet sich dabei als natürlicher Partner für China an.

Dies gilt insbesondere jetzt, da die neue deutsche Regierung unter Merz signalisiert, einen realistischeren, wirtschaftsorientierten Kurs gegenüber Asien einzuschlagen. Li Qiang äußerte ausdrücklich die Hoffnung, Deutschland werde „Einmischung und Druck beseitigen“ – eine subtile Anspielung auf den zunehmenden Druck der USA auf europäische Partner, die Kontakte zu China einzuschränken.

Ein neues Fenster für China?

Die strategische Annäherung an Deutschland wirft eine grundlegende Frage auf: Könnten engere deutsch-chinesische Beziehungen eine Entspannung der Spannungen zwischen China und der EU signalisieren? Deutschland – als stärkste Volkswirtschaft der EU – übt enormen Einfluss auf die Handels- und Industriepolitik der EU aus. Ein potenzieller deutscher Neustart der Beziehungen zu China könnte somit den Weg für eine umfassendere Entspannung in Europas Beziehungen zu China ebnen.

Andererseits könnte China Deutschland als Keil benutzen, um die europäische Einheit angesichts der radikaleren US-Politik und des wachsenden protektionistischen Drucks aus der EU zu schwächen. Sollte Deutschland konsequent seine eigenen nationalen Wirtschaftsinteressen verfolgen, könnte dies zu einer Divergenz der EU-Strategie gegenüber China führen.

Das Thema der Seltenen Erden spielt ebenfalls eine wichtige Rolle – sie sind entscheidend für die Produktion von Batterien, Halbleitern und Energieinfrastruktur. Chinas Entscheidung, die Sanktionen zu lockern und Deutschland gegenüber Offenheit zu signalisieren, ist kein Zufall, da dieser EU-Mitgliedstaat den größten Einfluss auf die von den EU-Institutionen im Bereich der Energiewende erarbeiteten Vorschriften hat.

Ein neues Kapitel in Europa?

Merz' Besuch in China – der in den kommenden Wochen erwartet wird – könnte sich als Wendepunkt erweisen. Ein Treffen mit Xi Jinping wird nicht nur die neue deutsche Regierung auf die Probe stellen, sondern auch ein Signal an die gesamte EU senden: Will Deutschland seinen bisherigen Kurs der europäischen Solidarität fortsetzen oder eine pragmatische Realpolitik nach dem Vorbild der früheren Regierungen Angela Merkels verfolgen?

Welche Entscheidungen auch immer getroffen werden, eines ist klar: China sieht die Zukunft seines Einflusses in Europa über Deutschland laufen. Und sollte Deutschland angesichts der globalen Turbulenzen beschließen, die Zusammenarbeit mit China zu vertiefen, könnte sich das Machtgleichgewicht auf dem Kontinent schneller verändern als erwartet.

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