Es verbindet Spitzentechnologie der Biotechnologie mit traditioneller Land- und Forstwirtschaft und stellt somit nicht nur Innovation und Daten dar, sondern ist ein echter Test dafür, wie widerstandsfähig und tatsächlich nachhaltig das Wirtschaftsmodell Europas sein kann.
Was ist die Bioökonomie?
Vereinfacht ausgedrückt ist die Bioökonomie ein System, das auf erneuerbaren biologischen Ressourcen basiert – von Pflanzen und Tieren bis hin zu Mikroorganismen – und zur Produktion von Nahrungsmitteln, Materialien und Energie genutzt wird. Das mag wie eine moderne Beschreibung von Land- oder Forstwirtschaft klingen, doch die Realität ist viel umfassender.
Die Bioökonomie umfasst alles von Biokunststoffen und kompostierbaren Verpackungen bis hin zu Kosmetika auf Algenbasis und Holzbaustoffen, die energieintensive Baumaterialien ersetzen.
Die EU betrachtet die Bioökonomie als eine zentrale Säule ihres grünen Wandels, doch diese Vision wirft eine wichtige Frage auf: Wie realistisch ist es, fossile Rohstoffe im industriellen Maßstab durch biologische zu ersetzen? Und inwieweit handelt es sich dabei um ein Narrativ, das die öffentliche Unterstützung für eine kostspielige Transformation gewinnen soll?
Arbeitsplätze und regionale Ungleichgewichte
Die Bioökonomie beschäftigt EU-weit rund 17,2 Millionen Menschen und bietet eine wichtige Einkommensquelle in ländlichen Gebieten, wo die Arbeitsmöglichkeiten oft begrenzt sind. Sie schafft neue Berufe in Bereichen wie Biotechnologie, nachhaltige Materialien und biobasierte Produktion.
Die Entwicklung verläuft jedoch geografisch ungleichmäßig. Viele der innovativsten Projekte konzentrieren sich in Ländern mit starken Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, während periphere oder ländliche Regionen Gefahr laufen, zu bloßen Rohstofflieferanten zu werden. Dies nährt die Besorgnis über eine neue Art wirtschaftlicher Abhängigkeit, bei der das Zentrum die Wertschöpfungskette kontrolliert, während ländliche Gebiete lediglich die Ressourcen bereitstellen.
Die Investitionen der EU in Forschung und Förderung treiben Innovationen voran – von Biodüngern aus Algen bis hin zu biologisch abbaubaren Kunststoffen, die herkömmliche Polymere ersetzen sollen. Diese Projekte sehen vielversprechend aus, doch die Übertragung vom Labormaßstab auf industrielle Anwendungen bleibt eine Herausforderung.
Die Massenproduktion erfordert nicht nur Technologie, sondern auch Infrastruktur, Kapitalinvestitionen und die Akzeptanz der Bevölkerung. Die entscheidende Frage ist, ob Europa – angesichts einer Energiekrise und hoher Produktionskosten – im globalen Wettbewerb mit Ländern bestehen kann, die über günstigere Ressourcen und weniger strenge Regulierungen verfügen.
Umweltziele oder politische Parolen?
Die Bioökonomie wird oft als Schlüsselinstrument zur Erreichung der Klimaneutralität dargestellt. Sie verspricht, Emissionen zu reduzieren, Abfall zu minimieren und fossile Rohstoffe durch erneuerbare Alternativen zu ersetzen.
Aus politischer Sicht ist diese Vision attraktiv – Europa kann von sich behaupten, eine „umweltfreundliche Wirtschaft“ aufzubauen. Kritiker bezweifeln jedoch, ob die steigende Produktion biobasierter Verpackungen nicht einfach zu einer höheren Nachfrage nach Industriepflanzen führt und damit möglicherweise die Artenvielfalt schädigt.
Löst der Ausbau von Biokunststoffen tatsächlich das Problem des Überkonsums oder verändert es lediglich dessen Form? Ohne klare Antworten ist es schwierig, die Bioökonomie als Allheilmittel für die ökologische Krise zu betrachten.
Resilienz aufbauen – oder eine neue Abhängigkeit schaffen?
Befürworter der Bioökonomie argumentieren, dass diese Europa helfen kann, die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen und Rohstoffen zu verringern, die lange als Quelle strategischer Verwundbarkeit galten. Die Nutzung lokaler und erneuerbarer Ressourcen – von landwirtschaftlicher Biomasse bis hin zu organischen Abfällen – könnte die strategische Autonomie der EU und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Marktschocks stärken.
Theoretisch passt die Bioökonomie gut zu den Zielen des europäischen Green Deals, da sie Nachhaltigkeit fördert und geopolitische Risiken im Zusammenhang mit Rohstoffimporten verringert.
Doch es besteht ein Paradoxon. Die biobasierte Produktion benötigt nach wie vor erhebliche Energiemengen, die nicht vollständig klimaneutral sind. Zudem werden viele der für fortschrittliche biobasierte Industrien erforderlichen Technologien, Maschinen und Kenntnisse außerhalb Europas entwickelt.
Dies wirft eine unangenehme Frage auf: Gewinnen wir wirklich Unabhängigkeit – oder ersetzen wir lediglich eine Abhängigkeit (von Öl und Gas) durch eine andere (von ausländischen Technologien und Infrastrukturen)?
Echte Resilienz erfordert mehr als nur Innovation. Sie verlangt eine starke Industriestrategie, heimische technologische Kapazitäten und eine kluge Regulierung, um zu verhindern, dass eine „grüne Abhängigkeit“ die alte fossile Abhängigkeit ersetzt.
Zwischen Versprechen und Realität
Mit einem Wert von über 2,4 Billionen Euro entwickelt sich die Bioökonomie der EU unbestreitbar zu einem Kernbestandteil der zukünftigen europäischen Wirtschaft. Sie schließt die Lücke zwischen traditionellen Wirtschaftszweigen wie Land- und Forstwirtschaft und moderner Biotechnologie. Sie birgt das Potenzial, Arbeitsplätze zu schaffen, Innovationen voranzutreiben und Europas Klimaziele zu unterstützen.
Doch jedes Versprechen wirft Fragen auf – nach Arbeitsplatzsicherheit, Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der wahren Bedeutung von Nachhaltigkeit.
Letztlich wird die Zukunft der Bioökonomie davon abhängen, ob sie zu einem Instrument der Resilienz und Unabhängigkeit wird – oder zu einer weiteren Quelle wirtschaftlicher Spannungen und Ungleichheit im Rahmen des grünen Wandels in Europa.
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