Obwohl der europäische KI-Verhaltenskodex ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Innovation schaffen soll, steht er in der Kritik. Er soll das KI-Gesetz als freiwilliger Leitfaden ergänzen, doch manche befürchten nun, dass sein unverbindlicher Charakter als Schlupfloch ausgenutzt werden könnte.

Über ein Jahr lang tobte ein erbitterter Kampf um das Dokument. Die Europäische Kommission, die sich als innovationsfreundlich positioniert, musste sich zwischen aggressiver Lobbyarbeit der Industrie und dem Druck von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Europaabgeordneten behaupten. Diese befürchteten, der Kodex werde zu nachsichtig – und untergrub damit genau das KI-Gesetz, das er eigentlich unterstützen sollte.

Im Hintergrund lauerte eine Frage: Ist es überhaupt möglich, sinnvolle Regelungen zu schaffen, denen sich Unternehmen freiwillig unterwerfen – ohne dass es zu einer zahnlosen Geste wird?

Meta sagt nein – und das ist keine schlechte Sache

Während Unternehmen wie OpenAI und das französische Unternehmen Mistral mitgemacht haben, lehnte Meta – der Technologieriese hinter Facebook und Instagram – ab. Paradoxerweise ist dies kein Zeichen des Scheiterns. Es ist ein Beweis dafür, dass der Code nicht ausschließlich den Interessen der Industrie gehorcht.

Die Ablehnung durch Meta zeigt, dass das Dokument noch immer Verpflichtungen enthält, die einige Unternehmen nicht eingehen wollen. Angesichts der heutigen Machtverhältnisse kann dies als regulatorischer Erfolg gewertet werden.

Meta testet seit Langem EU-Gesetze bis an ihre Grenzen und untergräbt sie oft öffentlich. Das Schema ist gut etabliert: Einführung einer umstrittenen Funktion, Provokation öffentlicher Gegenreaktionen, Darstellung der EU-Kontrolle als innovationshemmend, Drohung mit der Einstellung von Diensten und schließlich Anpassung des Systems, um den Anschein von Konformität zu erwecken, während der Geist der Regeln umgangen wird.

Zuckerberg geht hart vor

Metas Mehrheitsaktionär Mark Zuckerberg – dessen Unternehmen mittlerweile auf rund 1,5 Billionen Euro geschätzt wird – macht aus seinem Ziel keinen Hehl: Er will das globale KI-Rennen gewinnen, auch wenn er dabei gegen europäisches Recht stößt.

Berichten zufolge hat Meta im Bemühen, ein „Superintelligenz“-Team aufzubauen, den besten KI-Talenten Gehaltspakete von bis zu 260 Millionen Euro angeboten – Summen, die 99,996 % der europäischen Unternehmen niemals aufbringen könnten.

In der EU kämpft Meta an mehreren Fronten. Im Juni 2024 pausierte das Unternehmen die Einführung seiner KI-Technologie nach einer Welle von Beschwerden über den Umgang mit Nutzerdaten. Als es im April 2025 unter Druck wieder aufgenommen wurde, wurden die Opt-out-Mechanismen für Nutzer nur minimal angepasst. Das Muster blieb bestehen: Grenzen verschieben, Verantwortung vermeiden.

Meta befindet sich zudem in einem Streit mit der Europäischen Kommission über sein umstrittenes „Pay or Consent“-Werbemodell, das bereits zu einer Geldstrafe von 200 Millionen Euro geführt hat und weitere Sanktionen nach sich ziehen könnte. Laufende Ermittlungen untersuchen mögliche Verstöße gegen Plattformregeln und eine mutmaßliche Zusammenarbeit mit sanktionierten russischen Verlagen.

Ist Europa bereit für einen Machtkampf?

Meta hat den Kodex zwar nicht unterzeichnet, muss aber dennoch bis zum 2. August den KI-Act einhalten. Das Problem ist, dass die Erfolgsbilanz der EU bei der Durchsetzung von Technologievorschriften gegenüber globalen Giganten nach wie vor wackelig ist. Die Strafen werden zwar immer härter, verhindern aber immer noch keine Wiederholungsverstöße.

Ob der Kodex zu einem sinnvollen Regulierungsinstrument wird oder nur politisches Augenwischerei ist, hängt von seiner Umsetzung ab. Freiwillige Ethikkodizes ohne Durchsetzungsmechanismen haben sich in der Vergangenheit als schwach erwiesen. Die reichsten Unternehmen werden ihn unterzeichnen – sofern die Formulierungen vage genug sind, um rechtliche Risiken zu vermeiden.

Umso relevanter ist die frühe Kritik von NGOs. Schon während der Konsultationsphase warnten Aufsichtsbehörden, der Kodex sei unter dem Druck der Industrie verwässert worden. Ihrer Ansicht nach habe die Kommission der Technologiebranche zu viel Gestaltungsspielraum gelassen und damit möglicherweise zentrale Bestimmungen des KI-Gesetzes ausgehöhlt.

Es geht um mehr als nur Technologie

Bei dem Streit um den Kodex geht es um mehr als nur technische Standards. Er stellt das gesamte Technologieregulierungsmodell der EU auf die Probe – ein Modell, das versucht, Grundrechte, öffentliches Interesse und Innovation in Einklang zu bringen. Es wird jedoch immer deutlicher, dass diese Ziele nicht immer stimmig sind.

Meta ist nicht hier, um zu verhandeln. Es geht um die Vorherrschaft. Zuckerbergs Strategie basiert auf politischem Druck, medialer Manipulation und Gesetzeslücken. Es ist sogar die Rede davon, Donald Trump zu bitten, die EU zu einer Lockerung ihrer Regeln zu drängen. In dieser Darstellung werden EU-Vorschriften als Handelshemmnisse dargestellt und schaffen so eine weitere Front im transatlantischen Wirtschaftskrieg.

Wenn Europa bei der verantwortungsvollen KI wirklich eine Vorreiterrolle einnehmen will, muss es mehr tun als nur Gesetze zu erlassen. Es muss die entsprechenden Gesetze durchsetzen. Vor allem, wenn der Gegner ein Billionen-Euro-Riese ist.

Wenn man es globalen Unternehmen erlaubt, Verhaltenskodizes offen zu missachten oder Regulierungsbehörden zu Kompromissen zu zwingen, würde dies nicht nur die Glaubwürdigkeit der Kommission, sondern das gesamte KI-Gesetz untergraben.

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