Dank des Europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit (EAA) müssen Geldautomaten, die Notrufnummer 112, Websites öffentlicher Verkehrsmittel und Online-Shopping-Plattformen nun für alle zugänglich sein – auch für über 100 Millionen EU-Bürger mit Behinderungen. Das ist keine Vision mehr. Es ist Gesetz.
Eine neue Rechtsrealität in der EU
Ab Sommer 2025 müssen die EU-Länder die EAA (Richtlinie 2019/882) nicht nur theoretisch, sondern auch konkret und durchsetzbar umsetzen. Das bedeutet, dass Banken, öffentliche Verkehrsbetriebe, Smartphone-Hersteller und digitale Serviceplattformen Barrierefreiheit nicht mehr als „Nice-to-have“-Feature betrachten dürfen – sie ist nun ein gesetzliches Muss.
Das Gesetz hat einen weiten Anwendungsbereich: Es umfasst physische Produkte wie Geldautomaten und Fahrkartenautomaten sowie digitale Dienste, darunter E-Commerce-Apps und Reiseinformationssysteme. Es gilt sowohl für öffentliche Dienste als auch für private Unternehmen, sofern sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die weit verbreitet und gesellschaftlich wichtig sind.
Das Ziel? Echte Inklusion für Menschen mit Behinderungen – nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag.
112 für alle: Barrierefreie Notfallkommunikation
Eines der stärksten Symbole der neuen Vorschriften ist die Umgestaltung der Notrufnummer 112. Jeder – unabhängig von einer Behinderung – muss in der Lage sein, Notdienste in Echtzeit per Sprache, Text oder Video von überall in der EU aus zu erreichen.
Es handelt sich um eine technisch komplexe Aufgabe, die jedoch für die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit und des Lebensrechts unerlässlich ist. Die Modernisierung der Notrufnummer 112 könnte sogar als Modell für andere Sektoren dienen, etwa für das Gesundheitswesen und den elektronischen Behördenverkehr.
Doch es bleibt die Frage: Wird jedes Land seinen Verpflichtungen nachkommen? Es gibt noch keine EU-weiten Daten darüber, wie gut die nationalen 112-Systeme diese neuen Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen.
Bankgeschäfte und Geldautomaten: Nicht nur online, nicht nur für einige
Banken sind mittlerweile gesetzlich verpflichtet, alle Aspekte ihrer Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Dazu gehören multisensorische Geldautomaten (mit Sprachsteuerung, taktilem Feedback und barrierefreier Höhe) und digitale Banking-Plattformen, die so konzipiert sind, dass jeder sie selbstständig nutzen kann.
Der EAA könnte erhebliche Auswirkungen auf den Markt haben: Finanzinstitute, die sich nicht an die Vorgaben anpassen, müssen möglicherweise mit rechtlichen Sanktionen rechnen – und verlieren Kunden, darunter auch solche ohne offiziellen Behindertenstatus, die dennoch von barrierefreien Funktionen profitieren.
Öffentlicher Verkehr: Zugang muss messbar und transparent sein
Öffentliche Verkehrsunternehmen müssen nun regelmäßig über die Barrierefreiheit ihrer Angebote berichten – von Rampen und Aufzügen an den Haltestellen bis hin zu Echtzeit-Infobildschirmen und Apps.
Und die Informationen selbst müssen zugänglich sein. Egal, ob Sie prüfen, ob ein Bahnhof barrierefrei zugänglich ist, oder Ihre Reise online planen, das System muss intuitiv und integrativ sein. Das bedeutet benutzerfreundliche Ticketplattformen, übersichtliche Informationsanzeigen und Apps, die mit Bildschirmlesegeräten oder Sprachassistenten funktionieren.
Dies ist eine bedeutende Veränderung in der gesamten EU – eine, die das Reisen endlich für alle fairer machen könnte.
E-Commerce, Medien, Technologie: universeller Zugang, keine Ausreden
Bei der EAA geht es nicht nur um öffentliche Dienste, sondern auch um Mainstream-Konsumgüter und -Plattformen. Wer Technologie an die breite Masse verkauft, für den ist Barrierefreiheit keine Option mehr.
Was bedeutet das also?
- Online-Shops müssen blinden oder sehbehinderten Nutzern den Einkauf ohne fremde Hilfe ermöglichen.
- Videoplattformen müssen Untertitel und bildschirmleserfreundliche Layouts unterstützen.
- E-Books sollten über kontrastreiche Modi und Kompatibilität mit unterstützender Technologie verfügen.
Doch Barrierefreiheit ist nicht nur eine Frage der Werkzeuge – es geht um Wissen. Deshalb sind Unternehmen mittlerweile gesetzlich verpflichtet, ihre Mitarbeiter in Barrierefreiheit und Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu schulen. Das ist kein Bonus mehr, sondern gehört zum Geschäftsleben in Europa dazu.
Den Wandel feiern – und Verantwortung übernehmen
Um diesen Meilenstein zu feiern, veranstaltete AccessibleEU am 1. und 3. Juli in Brüssel eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen – online und persönlich. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungen standen die Auswirkungen des Gesetzes auf das reale Leben – und die Frage, wie die EU-Länder für die Einhaltung ihrer Versprechen zur Verantwortung gezogen werden können.
Warum ist das wichtig? Weil selbst das beste Gesetz nutzlos ist, wenn es niemand durchsetzt. Die Umsetzung ist heute das A und O – und das bedeutet, dass öffentliche Institutionen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Menschen mit Behinderungen gleichermaßen ihren Teil dazu beitragen müssen. Lücken zu erkennen, sie anzusprechen und Verbesserungen zu fordern, ist nicht nur erlaubt – es ist unerlässlich.
Barrierefreiheit ist die Zukunft aller
Der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit soll nicht nur einigen Menschen helfen. Er soll eine Gesellschaft schaffen, in der jeder – unabhängig von seinen körperlichen oder sensorischen Fähigkeiten – uneingeschränkt am öffentlichen, digitalen und wirtschaftlichen Leben teilhaben kann.
Ob beim Hilferufen, beim Zugfahren, bei der Finanzverwaltung oder beim Online-Shopping – Barrierefreiheit sollte selbstverständlich sein, nicht die Ausnahme. Ab 2025 unternimmt die EU einen mutigen Schritt, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Sorgen wir dafür, dass es sich nicht nur um ein Gesetz auf dem Papier handelt, sondern um eine echte Veränderung in der Praxis.
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