Von Versprechen bis PR: Die Illusion der Faktenprüfung

Der EU- Verhaltenskodex für Desinformation und digitale Dienste (DSA) sollte Online-Plattformen zur Verantwortung ziehen. Doch der jüngste Bericht von EDMO zeigt, dass sich viele dieser Unternehmen auf das absolute Minimum beschränken – oder mit alternativen, oft ineffektiven Moderationstools experimentieren.

Seit 2018 haben sich große Namen wie Meta , Google, Microsoft und TikTok dem Kodex angeschlossen. Und ab Juli 2025 wird er im Rahmen des DSA rechtsverbindlich. Klingt vielversprechend, oder? Nicht ganz.

Laut EDMO erhielt nur Google für seine Unterstützung bei der Faktenprüfung eine hohe Bewertung. Meta, Microsoft und TikTok wurden als „niedrig“ oder „teilweise“ eingestuft. Diese Plattformen kennzeichnen zwar irreführende Inhalte, erklären aber selten, wie effektiv diese Kennzeichnungen tatsächlich sind. Schlimmer noch: Die meisten verwenden keine klare Methode zur Messung der Ergebnisse.

Metas Schritt: Von Experten zur Masse

Im Januar 2025 kündigte Mark Zuckerberg an, dass Meta die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfern einstellen werde. Stattdessen soll auf ein „Community-Notes“-System gesetzt werden – ein von X (ehemals Twitter) kopiertes Modell, bei dem die Nutzer die Richtigkeit der Inhalte selbst beurteilen.

Der Haken dabei ist: Technisch gesehen ist das nach dem DSA nicht illegal. Das Gesetz verpflichtet Plattformen zwar dazu, Online-Risiken zu reduzieren und transparent zu machen, wie sie dies tun – es schreibt aber nicht genau vor, wie die Faktenprüfung erfolgen soll.

Dennoch gibt der Wechsel von professionellen Faktenprüfern zu Crowdsourcing-Moderation Anlass zu ernsthaften Bedenken. Laut EDMO schwächt dieser Schritt die Bemühungen der EU zur Bekämpfung von Desinformation und könnte Plattformen anfälliger für Missbrauch machen. Die Mozilla Foundation ging noch weiter und bezeichnete ihn als „Verrat“ an den Zielen des DSA.

Selbst wenn es legal ist, kann es den gesamten Zweck des Gesetzes untergraben.

Die Durchsetzungslücke: Gesetz vs. Realität

Eines der größten Probleme ist nicht, was das Gesetz vorsieht, sondern ob es überhaupt durchgesetzt wird. EDMO warnt, dass viele Plattformberichte vage, unvollständig oder nicht überprüfbar seien. Es gibt keinen klaren Zeitplan für die Integration des Kodex in den DSA, und die Europäische Kommission hat die Risikoberichte von Meta noch nicht bewertet oder Folgepläne für andere Unternehmen vorgelegt.

Mittlerweile hat X den Kodex offiziell verlassen und Meta hat nicht bestätigt, ob es plant, darin zu bleiben.

Hier ist eine interessante Tatsache: Wikipedia – ja, die von Freiwilligen betriebene Enzyklopädie – ist die einzige große Plattform, die Community-Notizen ordnungsgemäß und im Einklang mit dem EU-Recht verwendet. Andere Plattformen? Nicht so sehr.

Regulierung vs. Realität: Was steht auf dem Spiel?

Während der Kodex die Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Faktenprüfern fördert, tun viele Plattformen das Gegenteil. Meta erwägt sogar, sich in der EU vollständig aus der Faktenprüfung zurückzuziehen – gerade als der Kodex rechtsverbindlich wird.

Diese rechtliche Grauzone schafft ein Schlupfloch: Unternehmen können behaupten, sie seien konform, während sie gleichzeitig wichtige Instrumente streichen, die die Verbreitung von Desinformation tatsächlich eindämmen. In der Praxis hängt der Nutzerschutz letztlich eher vom guten Willen der Unternehmen als von durchsetzbaren Gesetzen ab.

Und da es keine Vorschrift gibt, professionelle Faktenprüfung als alleinige Methode einzusetzen, könnten mehr Plattformen auf Crowdsourcing-Moderation umsteigen. Theoretisch fördert dies die Beteiligung. In der Praxis jedoch? Verwischt es die Verantwortlichkeit und schwächt die Qualitätskontrolle.

Kann die EU ihre eigenen Regeln überhaupt durchsetzen?

Die eigentliche Frage lautet also: Kann die EU diese Unternehmen tatsächlich dazu zwingen , sich an das Gesetz zu halten?

Gegen Meta und X laufen bereits formelle Verfahren. Doch ohne echte Fristen oder ernsthafte Strafen ist es schwer vorstellbar, dass diese Plattformen ihren Kurs ändern.

Googles Bemühungen werden derzeit am besten bewertet. Doch den meisten Big Tech-Unternehmen geht es nicht um fehlende Ressourcen, sondern um mangelnden Druck. Und ohne diesen können selbst die strengsten Gesetze den europäischen digitalen Raum nicht vor der Flut an Desinformation schützen.

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